Es wird mal wieder philosophisch. Mit StB Peter Kusel diskutiere ich über die 15-Stunden Woche, die Bedeutung von Geld und das Bruttosozialprodukt.
Und wir fragen uns, was wohl passieren würde, wenn alle Steuerberater streiken und sind anderer Meinung als der Autor.
Dauer 54 Minuten
Utopien für Realisten, Rutger Bregman . Die Zeit ist reif für die 15-Stunden Woche, offene Grenzen und das bedingungslose Grundeinkommen, 2017 300 Seiten.
Klappentext: Das wahre Problem unserer Zeit, das Problem meiner Generation, ist nicht, dass es uns nicht gutginge oder dass es uns in Zukunft schlechtergehen könnte. Nein, das wahre Problem ist, dass wir uns nichts Besseres vorstellen können.
Shownotes
Diesmal bin ich nicht den 8 Fragen gefolgt, sondern habe mir zu den Utopien die für mich bedeutenden Passagen herausgestrichen, die ich mit Peter diskutieren möchte und mir dazu Anmerkungen gemacht.
Interessante Statistiken zur Entwicklung der Welt. Bis 1880 waren die Menschen jahrhundertelang gleich arm, dann ging es steil bergauf. Lebenserwartung, Gesundheit, Wohlstand, Trinkwasser, Bildung, Frieden, Kriminalität – alles verbessert. 2013 besaßen 13 Millionen ein mobiltelefon, 4,5 Millionen eine Toilette
Wir führen ein gutes Leben, das nahezu jedermann Wohlstand, Sicherheit und Gesundheit beschert. Nur eines fehlt uns. Ein Grund, am Morgen aus dem Bett zu steigen. – Maslowsche Bedürfnispyramide bewahrheitet sich.
Unterdessen hat der Wohlfahrtsstaat sein Augenmerk von den Ursachen unserer Unzufriedenheit abgewandt, um sich auf die Symptome zu konzentrieren. Wir gehen zum Arzt, wenn wir krank sind, zum Therapeuten, wenn wir traurig sind, zum Diätspezialisten wenn wir übergewichtig sind. Wir gehen ins Gefängnis, wenn wir verurteilt werden und zum Berufsberater, wenn wir unseren Arbeitsplatz verlieren. All diese Dienste kosten ungeheuer viel Geld, ohne dass sie großen Nutzen hätten. Das ist die Dystopie, in der wir heute leben.
Es geht uns besser wie nie zuvor, genau deshalb macht es Sinn ein neues Utopia zu entwickeln. In diesem Sinn betrachte ich unsere Unzufriedenheit als ermutigend, denn wer unzufrieden ist, ist nicht gleichgültig.
Wirklicher Fortschritt beginnt mit etwas, das keine Wissensökonomie erzeugen kann: mit einem Verständnis dessen, was es bedeutet, gut zu leben. John Maynard Keynes: „Wir müssen dem Zweck höheren Wert beimessen als den Mitteln und dem Guten den Vorzug vor dem Nützlichen geben“ (Bemerkenswert, das Zitat stamm aus einem Essay von 1930 „Economic Possibilities for our Grandchildren“ – siehe #enkelfähig)
Der eigene Negativ-Reflex, wenn Ideen außerhalb der eigenen Komfortzone liegen, radikale Veränderungen erfordern: Das kann doch nicht funktionieren. Beschreibt er zum Schluss mit der kognitiven Dissonanz.
Utopie 1: Das bedingungslose Grundeinkommen
Zitat Woody Allen „Reichtum ist besser als Armut, und sei es auch nur aus finanziellen Gründen“
Experiment in London mit 13 Obdachlosen – 3.000 Pfund
Die Armut bekämpfen – mit auflagenfreien Direktzahlungen „Armut wird im Grunde durch einen Mangel an Geld verursacht.“ Zahlreiche Studien belegen die Wirkung des Geldgeschenks. Das Klischee des faulen Armen hält sich hartnäckig, allerdings durch zahlreiche Studien widerlegt.
Plädoyer für das bedingungslose Grundeinkommen.
Experiment Mincome, Kanada 1973 und in drei Städten Amerikas. In den 70er Jahren war das schon ein gesellschaftliches Thema.
Alle Utopien werden zu Beginn mit drei Begründungen attackiert: aussichtlos, gefährlich, widernatürlich. Wurde auch über die Demokratie behauptet.
Die staatliche Unterstützung beruht auf dem Missverständnis, wir könnten uns darauf verlassen, dass die Wirtschaft genug Arbeitsplätze schaffen wird und die Arbeitslosenhilfe ist oft kein Sprungbrett ins Erwerbsleben, sondern eine Falle.
Experiment: macht Armut dumm – ja. Da die mentale Bandbreite durch die Knappheit eingeschränkt wird.
Erschreckend: die Auswirkungen des Speenhamland-Experiments in GB Anfang des 19.Jhrd., das angeblich gescheitert war. In Wahrheit waren die Berichte gefälscht. Sonst hätte Nixon 1976 das bedingungslose Grundeinkommen eingeführt. Wie das wohl die Welt verändert hätte?
Utopie 2: weg mit dem BIP
Die Vorstellung, das BIP sei der geeignete Maßstab für das Wohlergehen einer Gesellschaft, zählt zu den beliebtesten wirtschaftlichen Mythen unserer Zeit.
Das BIP wie wir es heute kennen, gibt es erst seit 80 Jahren. Ist in Kriegszeiten ein nützliches Instrument, weil es die Industrieproduktion zum Maßstab nimmt und alles andere vernachlässigt wird.
Jede Epoche braucht ihre eigenen Kennzahlen. Im 18. Jahrhundert ging es um den Umfang der Ernte, im 19. Jahrhundert um die Größe des Eisenbahnnetzes, die Zahl der Fabriken und die Kohlefördermenge. Und im 20. Jahrhundert mussten wir wissen, wie hoch die industrielle Massenproduktion innerhalb der Grenzen der Nationalstaaten war. Heute können wir unseren Wohlstand jedoch nicht mehr in Dollar, Pfund oder Euro ausdrücken. Vom Gesundheitswesen bis zur Bildung, vom Journalismus bis zum Finanzwesen: wir sind immer noch auf Effizienz und Zugewinn fixiert, so als wäre die Gesellschaft nichts anderes als eine gewaltige Fertigungsstraße. Aber in einer von Dienstleistungen dominierten Volkswirtschaft erweisen sich einfache quantitative Zielsetzungen als untauglich. Wie es Robert Kennedy ausdrückte: „Das Bruttosozialprodukt misst alles mit Ausnahme der Dinge, die das Leben lebenswert machen“
Alternativvorschläge:
- Indikator wirklichen Fortschritts
- Indes des nachhaltigen wirtschaftlichen Wohlergehens
- Happy Planet Index
Instrumententafel, die misst, was das Leben lebenswert macht
Utopie 3: Die 15-Stunden-Woche
Keynes s.o. hat in seinem Essay auch schon die Freizeit als die größte Herausforderung im 21. Jahrhundert benannt und prophezeit, dass wir im Jahr 2030 nur noch 15 Stunden die Woche arbeiten.
Der Cornflakes-Kapitalismus – Erkenntnis, dass weniger Arbeit zu mehr Produktivität führt
Was wäre wenn die Freizeitrevolution in diesem Jahrhundert erneut in Gang käme?
Hab ich schon in einem Haufe-Beitrag 2017 aufgegriffen und wir haben das im delfi-net diskutiert:
Zukunftsforscher Hans W. Opaschowski hat zu dieser Entwicklung bereits 2008 in seinem Buch „Deutschland 2030“ eine neue Arbeitsformel prophezeit:
0,5 x 2 x 3
Im Jahr 2030 werden die Hälfte der Menschen das Doppelte verdienen und das Dreifache arbeiten müssen. Das klingt nicht gerade nach rosiger Zukunft aus Arbeitnehmersicht. Die eine Hälfte schuftet sich bildlich gesprochen zu Tode und die andere ist arbeitslos.
Doch was wäre, wenn sich diese Arbeitsformel anpassen lässt in:
1 x 2 x 2
Die gleiche Anzahl Mitarbeiter wie heute verdient das Doppelte und bewältigt das doppelte Arbeitsvolumen. Oder – für die Mitarbeiter möglicherweise noch attraktiver – die Mitarbeiter schaffen die gleiche Arbeit wie heute in der Hälfte der Zeit. Mit der Digitalisierung sind viele Varianten denkbar und Wachstum um jeden Preis ist schon lange nicht mehr für jeden erstrebenswert. Arbeits- und Lebensqualität stehen im Vordergrund und können hier passend miteinander kombiniert werden.
Und wodurch wird es möglich, das doppelte Gehalt zu erwirtschaften? Durch den Wegfall von Routinetätigkeiten wird Raum für wertvolle und für den Mandanten nutzenstiftende Beratung geschaffen. Vom Abwickler der Buchhaltung zur Unterstützung bei der Geschäftsführung. Die Interpretation der Zahlen steht im Vordergrund statt Abschlussbuchungen zu tätigen. Vom Zahlenfriedhof der Vergangenheit zur Geburtshilfe für tagaktuelle Entscheidungen. Die Mitarbeiter werden zu Informanten im Unternehmeralltag und der Steuerberater zum Coach in allen Finanz- und Lebensfragen.
Wichtig dafür: Anreiz für die Mitarbeiter, dass sich Produktivitätsgewinn für sie persönlich lohnt! Denn heute wird derjenige bestraft, der effizienter arbeitet. Arbeitszeit bleibt gleich = dann bekommt man noch was oben drauf gepackt / wer hat freie Kapazitäten, der darf den langsameren Kollegen was abnehmen.
Hahaha, Vergleich wenn Müllmänner streiken oder Steuerberater funktioniert gerade nicht. Viele StB liebäugeln vermutlich gerade mit Streik und dann holla die Waldfee!
Trotzdem ist das die Frage von Systemrelevanz und warum die gesellschaftlich wichtigen Berufe so hoffnungslos unterbezahlt / nicht wertgeschätzt sind.
Die Bullshitjobs als Negativbeispiel.
Steuerpolitik als Steuerungsinstrument, z.B. Finanztransaktionssteuer – Höhere Steuern würden mehr Menschen dazu bewegen, nützlichen Tätigkeiten nachzugehen.
In der Schule wird der Grundstein gelegt. Die großen Debatten in der Bildung kreisen um das Format, um die Vermittlung der Inhalte, um die Didaktik. Die Bildung wird durchweg als Instrument der Anpassung dargestellt – als Werkzeug, das uns den Weg durchs Leben erleichtern will. Das Augenmerk liegt dabei stets auf den Kompetenzen, nicht auf den Werten. Auf der Didaktik statt auf den idealen. Auf der Problemlösungskompetenz, ohne dass geklärt würde, welche Probleme gelöst werden müssen.
Anstatt zu fragen, was wir benötigen, um unseren Lebensunterhalt in diesem oder jenem Bullshitjob zu verdienen, könnten wir über die Frage nachdenken, womit wir unseren Lebensunterhalt verdienen wollen.
Der Zweck einer kürzeren Arbeitswoche ist nicht, dass wir alle untätig herumsitzen können, sondern dass wir den Dingen, die uns wirklich wichtig sind, mehr Zeit widmen können.
Utopia 4 Offene Grenzen
Der Sinn bzw. Unsinn der Entwicklungshilfe
Unnützes Wissen: Das erste vergleichende Experiment wird in der Bibel dokumentiert, Daniel 1, 1-16
Die Randomista der Entwicklungshilfe, die die Wirkung von Hilfsmaßnahmen wissenschaftlich untersuchen.
War mir neu: dass das Konzept der Mikrokredite nicht funktioniert.
Bis 1920 gab es keine Reisepässe, die Grenzen waren offen für alle.
Sonderbarerweise stehen die Grenzen für alles mit Ausnahme der Menschen weit offen. These: eine Öffnung der Grenzen für Arbeitskräfte würde den globalen Wohlstand um 65 Billionen Dollar erhöhen.
! Kognitive Dissonanz
Geschichte von Dorothy Martin – die Welt geht am 21. Dezember 1954 unter
Der amerikanische Journalist Ezra Klein erklärt, dass intelligente Menschen ihren Verstand nicht nutzen, um die richtige Antwort zu finden. Sie nutzen ihn, um die Antwort zu finden, die ihnen gefällt.
Wann schlägt die eigene Uhr Mitternacht? – Jeder hat seine Momente, in denen unerschütterlich an der eigenen Überzeugung festgehalten wird.
Bregman: Manchmal frage ich mich, ob ich bereit wäre, Fakten wahrzunehmen, die meiner Überzeugung widersprechen. Wäre ich aufmerksam – oder mutig – genug, um meine Meinung zu ändern.
Befinden wir uns in der Krise oder im Koma?