Wir wagen ein Experiment. Im Buch „A Thousand Plateaus“ wird das Lernen neu gedacht und wir bedienen uns genau dieser Methode: das rhizomatische Lernen. Das heißt, Wissensvermittlung erfolgt nicht systematisch aufeinander aufbauend wie bei einer Baumstruktur sondern wie ein unendlich verzweigtes Netzwerk, bei dem man überall ein- und aussteigen kann und die Wissensgebiete miteinander verknüpft sind.
Statt das Buch im Detail zu lesen und zu besprechen, diskutieren Jennifer Fritz und ich erst mit der KI über die Inhalte und sprechen dann über unsere Ergebnisse. Wir gewinnen dabei überraschende Erkenntnisse und haben auch kritische Anmerkungen dazu.
Shownotes
Thousand Plateaus – Capitalism and Schizophrenia
Gilles Deleuze, Felix Guattari, Ersterscheinung auf französisch 1980, Englische Ausgabe 1987, 517 Seiten
Rhizomatisches Lernen: Warum Wissen kein Baum, sondern ein Pilzgeflecht ist
Hast du schon mal versucht, Kant, Hegel oder Nietzsche zu lesen und nach wenigen Seiten aufgegeben? Willkommen im Club! Doch was, wenn es eine andere Art des Lernens gäbe, die nicht hierarchisch und linear verläuft, sondern sich wie ein unterirdisches Wurzelgeflecht verzweigt? Willkommen beim rhizomatischen Lernen!
Gilles Deleuze und Félix Guattari haben in A Thousand Plateaus (1980) ein revolutionäres Konzept entwickelt: Lernen ist kein Baum mit festen Ästen, sondern ein Rhizom, ein Netzwerk, das sich in alle Richtungen ausbreitet. In einem Podcast-Experiment haben wir uns diesem Konzept mithilfe von KI und eigenen Überlegungen angenähert – und spannende Erkenntnisse gewonnen.
Lernen ohne Hierarchien: Der Abschied vom Baum-Modell
Unser klassisches Bildungssystem folgt einer Baumstruktur: Es gibt Grundlagenwissen, darauf baut weiteres Wissen auf, und alles folgt einer klaren Hierarchie. Geschichte beginnt mit den alten Ägyptern, Mathematik mit der Grundrechenart, und in der Schule gibt es Lehrer, die das Wissen von oben nach unten weitergeben.
Deleuze und Guattari kritisieren dieses Modell als unnatürlich. Sie schlagen stattdessen das Rhizom als Metapher vor: Ein unterirdisches Geflecht, das keinen festen Anfang und kein festes Ende hat. Egal, wo man einsteigt – man kommt an immer neuen Punkten heraus. Klingt chaotisch? Vielleicht. Aber auch genau so, wie unser Gehirn funktioniert.
Wikipedia, KI & das Internet: Rhizome in der Praxis
Das Internet in seiner Ursprungsform war ein perfektes Rhizom. Über Hyperlinks konnte man von einem Thema zum nächsten springen und so Wissen auf nicht-lineare Weise entdecken. Wikipedia funktioniert nach genau diesem Prinzip: Ein Einstiegspunkt, unzählige Verknüpfungen, die den Weg durch das Wissen in alle Richtungen ermöglichen.
Aber: Algorithmen haben das Rhizom unterwandert. Social Media und Suchmaschinen arbeiten mit hierarchischen Strukturen, die vorgeben, was wir sehen und lernen. So entstehen Filterblasen, die uns in eine Richtung lenken – oft ohne, dass wir es merken.
Rhizomatisches Lernen mit KI: Ein Segen oder eine Falle?
Im Podcast-Experiment haben wir das Buch A Thousand Plateaus nicht klassisch gelesen, sondern mit KI-Tools zusammengefasst und diskutiert. Dabei wurde schnell klar: KI kann ein mächtiges Werkzeug sein, um sich Wissen zu erschließen – aber sie hat auch ihre Grenzen.
- Pro: KI ermöglicht es, schnell Verbindungen zwischen Themen zu entdecken, Zusammenhänge zu erkennen und Diskussionen anzustoßen.
- Contra: KI fasst zusammen, bewertet aber nicht kritisch. Ohne eigene Reflexion kann man sich in oberflächlichem Wissen verlieren – oder in falsche Richtungen gelenkt werden.
Ein schönes Bild aus dem Podcast: Rhizomatisches Lernen ist wie Impro-Theater. Statt „Nein, aber …“ sagt man „Ja, und …“. Man baut aufeinander auf, erweitert Gedanken und entdeckt neue Perspektiven.
Die Herausforderung: Kontrolle versus Freiheit
So faszinierend rhizomatisches Lernen klingt, es hat auch Tücken:
- Überforderung: Nicht jeder fühlt sich wohl mit offenen Lernstrukturen. Manche brauchen klare Vorgaben, um nicht im „Rabbit Hole“ des Internets verloren zu gehen.
- Qualitätskontrolle: Wer prüft, ob das, was gelernt wurde, auch korrekt ist? Gerade in Zeiten von Fake News und KI-generierten Inhalten eine große Frage.
- Lernbegleiter statt Lehrer: Rhizomatisches Lernen braucht Menschen, die nicht von oben lehren, sondern begleiten – ein Paradigmenwechsel in der Bildung.
Fazit: Mehr Rhizom wagen!
Rhizomatisches Lernen erfordert eine neue Haltung: Neugier statt Struktur, Vernetzung statt Hierarchie, Prozess statt Endziel. Es bedeutet, Wissen aktiv zu entdecken und in Gemeinschaft weiterzuentwickeln.
Die Zukunft des Lernens liegt vielleicht genau hier – in einer Welt, in der wir Wissen nicht konsumieren, sondern gemeinsam erschaffen. Also, statt nur Zusammenfassungen zu lesen: Tief eintauchen, Querverbindungen ziehen, diskutieren. Oder um es mit Deleuze zu sagen: „Nicht fragen: Wer bin ich? Sondern: Welche Möglichkeiten entfalten sich?“